Die ARD wird zum Schurken gemacht

Eine Medienkampage wirft dem Sender Manipulation der Bürger vor

Stuttgart Verschwörungsthriller können Spaß machen. Und lukrativ sein. Man muss nur den Amerikaner Dan Brown fragen, ob er nach der ersten Tantiemenabrechnung für „Illuminati“ noch Rabattmarken geklebt hat. Einen Verschwörungsthriller wollen auch einige deutsche Medien derzeit herbeischreiben, mit der ARD in der Schurkenrolle. Die „Bild“-Zeitung formuliert wie meist am dreistesten: „So will die ARD uns umerziehen“ gibt sie Alarm, warnt vor einem „Geheimpapier“, vor einer „Umerziehungs-Fibel“ und vor „Manipulation“. Die ARD besitze eine Sprachanleitung, „um private Sender gezielt schlechtzureden“.

Was ist konkret geschehen? Die ARD-Führungsetage hat ganz richtig bemerkt, dass in der Debatte über Mängel, Auswüchse und Schwerfälligkeiten des öffentlich-rechtlichen Apparats die radikalsten Gegner des Systems die Herrschaft über Sprache und Begrifflichkeiten erlangt haben. Das Wort „Zwangsgebühren“ für die Finanzierung des Systems durchsetzt jede Debatte mit dem Gestank des Ungeheuerlichen, der Bürgererpressung und des Frondienstes. Und nun greift auch der niederträchtige Begriff „Staatsfunk“ um sich, der suggeriert, die öffentlich-rechtlichen Sender besäßen keine journalistische Unabhängigkeit mehr, sondern seien Lautsprecher der Regierung.

In einer Welt schneller sozialer Medien, in denen griffige Sprüche komplexe Argumentationen alle Tage ausstechen, genügt Sacharbeit nicht, um Rhetorik zu kontern. Man muss sich auch selbst um ein wenig rhetorischen Schmiss bemühen. Weil vielleicht nicht mehr jeder ARD-Hierarch nach einem Berufsleben voller interner Sitzungen und Hickhackveranstaltungen ein fescher Meister flotter Rede mit einem Gespür für Volkes Stimmung ist, hat sich die ARD externen Rat geholt. Sie hat bei der in Kalifornien arbeitenden Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling einen Gedankenanstoß bestellt, ein 89 Seiten dickes Konzeptpapier, wie man der Debatte Herr werden könnte. In Fachkreisen nennt man einen solchen Versuch, mit der Prägung von Begriffen und Fragen festzulegen, in welchen Grenzen sich eine Debatte bewegt, Framing.

Wehlings Papier ist ein Denkanstoß, mit dem sich in mehreren Konferenzen Führungskräfte der ARD auseinandergesetzt haben. Wehling schlägt vor, mit Floskeln wie „unser gemeinsamer freier Rundfunk ARD“ für das eigene Haus und mit „profitwirtschaftliche Sender“ für die private Konkurrenz die Sympathien der Bürger neu auszurichten. Man kann das eher hilflos finden. Man muss aber auch im Hinterkopf behalten, dass zum Versuch, einen neuen Blick auf alte Probleme zu gewinnen, gerade die schrägen, die läppischen, albernen und unfertigen Ideen, die Übertreibungen und Fantastereien willkommen sein müssen. Man lernt auch, wenn man etwas vor sich hat, was eher nicht geht.

Das interne Papier der ARD, das nun plötzlich so aufgeregt diskutiert wird, ist zwei Jahre alt. Viele der jetzt getadelten Formulierungen hat der Senderverbund in seiner Öffentlichkeitsarbeit nie verwendet. Wie auch? „Die moralische Begründung der Programmvielfalt“, steht bei Wehling, „liegt in den unterschiedlichen Bedürfnissen derjenigen Bürger, die die ARD ermöglichen – durch ihre finanzielle Beteiligung und darüber hinaus.“ So etwas dient der Selbstvergewisserung der Lesenden. Als Werbesprache taugt es nicht.

So praxisuntauglich die angebliche „Umerziehungsfibel“ ist, so ungeschickt hat sich die überrumpelte ARD in der Debatte darum bislang angestellt. Sie kommt nicht dagegen an, dass ihre Gegner ein internes Arbeitspapier als „Geheimpapier“ vergruseln. Ein wieder in der Schublade verschwundenen Versuch, ein paar Ideenlämpchen leuchten zu lassen, wird zum perfiden Plan aufgeblasen. Mit anderen Worten: die ARD bekommt gerade vorgeführt, wie Framing funktioniert, wenn Polemiker keine Skrupel kennen. Der Reformbedarf bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ist unbestreitbar. Aber die jetzige Debatte ist eine Luftnummer von Gauklern, denen man nicht trauen sollte.

Ausgerechnet die „Bild“-Zeitung warnt vor unseriösen Methoden und einer angeblichen „Umerziehungsfibel“

Zum Artikel

Erstellt:
21. Februar 2019, 03:04 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen