Peter Haußmann stellt neue Projekte in der alten Spinnerei vor

Der Württembergische Kunstverein Stuttgart lädt die Mitglieder einmal im Monat dazu ein, einen besonderen Kunstort zu besuchen. Ende August stellte der Bildhauer Peter Haußmann in seinem Atelier in der alten Spinnerei in Backnang seine jüngsten Projekte vor.

Jolanda Bozzetti, Pressesprecherin des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart, und Peter Haußmann sprechen über das Rechenschieber-und-Dreieck-Objekt. Fotos: Ingrid Knack

Jolanda Bozzetti, Pressesprecherin des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart, und Peter Haußmann sprechen über das Rechenschieber-und-Dreieck-Objekt. Fotos: Ingrid Knack

Von Ingrid Knack

Backnang. Peter Haußmann, der in der ehemaligen Spinnerei in Backnang ein Atelier hat, ist seit rund 40 Jahren in Sachen Kunst unterwegs. Sich deshalb groß feiern zu lassen, ist seine Sache nicht. In seiner ruhigen, beständigen Art arbeitet der 70-Jährige an seinen Objekten aus Stahl, Holz und vielen anderen (Natur-)Materialien, kooperiert mit befreundeten Künstlern oder mit Institutionen wie „Lokstoff!“, dem Theater im öffentlichen Raum aus Stuttgart, das sich die Freiheit nimmt, „dort zu spielen, wo das Leben ist“. Der Opel Omega, den Haußmann für ein Projekt des Theaters zersägt hat, sodass nur noch der Kofferraum übrig blieb, steht in seinem Atelier. Hier konnten Mitspieler ansatzweise am eigenen Körper spüren, wie Flüchtlinge sich fühlen müssen, wenn sie in einem Kofferraum einen Teil ihrer Flucht erleiden.

Der Bildhauer aus Weissach im Tal ist Mitglied beim Württembergischen Kunstverein Stuttgart. Haußmanns Atelier stand Ende August auf dem Plan beim monatlichen Jour fixe des Vereins. Der Jour fixe der Mitglieder ist ein offenes Forum – es geht um unterschiedlichste Themen. Dazu gehören Besuche bei Mitgliedern des Vereins, die dabei ihre jüngsten Projekte vorstellen können. Oder es werden Ausstellungen wie erst kürzlich die Triennale Kleinplastik in Fellbach, Angelegenheiten des Kunstvereins oder dessen Arbeit jenseits des öffentlichen Betriebs besprochen. Auch allgemeine Anliegen in Sachen Kunst, Kulturpolitik und Gesellschaft sind Gegenstand der Diskussion. Die Mitglieder können Themen vorschlagen beziehungsweise eigene Ideen, Fragen oder Vorhaben vorstellen, erklärt Pressesprecherin Jolanda Bozzetti.

Die künstlerische Vita begann mit Holzschnitten

Dass er bei Manfred Degenhardt in die Schule der hohen Holzschnittkunst gegangen ist, sagt nicht der Gastgeber, sondern jemand anderes. Mit Holzschnitten begann die künstlerische Vita des gebürtigen Calwers. Mit anderen Namen geht Haußmann nicht hausieren, in eine „bürgerliche Kategorie“ möchte er nicht gesteckt werden, wie er versichert. Der Stuhl aus Stahl vor Haußmanns Werkstatt, der nach einigen Reisen wieder an seinem ursprünglichen Standort angekommen ist, gibt bei diesem Atelierbesuch sozusagen das Programm vor: „Platz zum Nachdenken über Kunst und den Preis des Nichtbeachtens“ ist der Titel des Objekts. „Was wir nicht tun, hat auch Auswirkungen. Vielleicht schlimmere, als wenn wir etwas getan hätten“, sagt der Bildhauer.

Platz zum Nachdenken über Kunst ist reichlich da beim Jour fixe. Die Besucher werden im Atelier Haußmanns mit einer Fülle an Werken konfrontiert, denen man in wenigen Stunden nicht auf den Grund gehen kann. Doch die Gäste dürfen eintauchen in eine Welt der Objekte, bei denen auch der Entstehungsprozess eine bedeutende Rolle gespielt hat.

Ein alter Motorblock und einemarode Ulme werden zu Kunstwerken

Da liegen etwa Bleihelme, die Haußmann aus alten Bleibuchstaben gegossen hat. Beim Verarbeiten des Hart- oder Antimonbleis gilt es, „höllisch aufzupassen“, erklärt Haußmann. Wir sprechen hier von einer Hitze zwischen 650 und 700 Grad, einen Spritzer des Materials abzubekommen, wäre fatal. Das ist die eine Dimension – in der etwas passiert, auch Unvorhergesehenes. Hier spürt der Bildhauer die Energie, die im Material und in einem solchen Vorgang steckt. Die andere Dimension bezieht sich auf das, was dem Künstler durch den Kopf geht. „Was über das Material hinausgeht, das interessiert mich“, sagt er. In diesem Zusammenhang dreht sich die Gedankenwelt um Bleischwere. Der bleischwere Helm drückt auf den Kopf und hat selbst Auswirkungen auf die Sprache des Trägers. Die Aufforderung, diesen Gedanken weiterzuspinnen, liegt auf der Hand.

Das Werk „Es verneigt sich das Rad“.

Das Werk „Es verneigt sich das Rad“.

Die Bleischwere wird an diesem Abend allein den Helmen überlassen, die Besucher erfreuen sich an der Leichtigkeit des Seins in einem Atelier, in dem nicht sie, sondern ein anderer schafft. Sie sitzen um einen Tisch mit einem grünen Tischtuch. „Der Tisch ist immer frei. Es ist wichtig, dass man mit Leuten um einen Tisch sitzen kann“, sagt Peter Haußmann.

Holz und Stein sind unverrückbar miteinander verbunden

„Woher haben Sie das Material?“, fragt eine Künstlerkollegin beim Anblick eines Kunstwerks, dem Haußmann eine Krone aufgesetzt hat. Die Künstlerin hat das Gestell im Blick, das die Krone hält. „Es ist eine geschmiedete Achse eines alten Leiterwagens“, gibt der Urheber Auskunft. Und fügt hinzu: „Die Teile kann man nicht suchen. Wenn man sie sucht, findet man sie nicht.“ Selbst ein Motorblock eines alten Lada ist zu einem Objekt mutiert. Gleich daneben hängt ein Kunstwerk an der Wand, dessen Basis der unterste Teil einer Ulme ist, die gefällt werden musste. Haußmann hatte in dieser Zeitung gelesen, dass die Ulme gefällt werden sollte. Er organisierte einen Lkw mit Hänger und Kran, um den Baum für die Kunst und die Backnanger zu retten. Die Ulme wurde in viele Einzelteile zersägt, alle Teile wurden nummeriert und für 50 bis 100 Mark verkauft. Die Idee war: Die Backnanger kaufen die Einzelteile, die man auch wieder zusammensetzen könnte. So ging die Ulme für sie nicht verloren. „Das funktioniert im Kopf“, kommentiert Haußmann die Idee hinter dieser Aktion. In die Mitte des Ulmenobjekts in seinem Atelier hat er einen Stein gelegt, als das Holz noch feucht war. Mittlerweile sind Holz und Stein unverrückbar miteinander verbunden.

An einer anderen Wand hängt ein überdimensionierter Rechenschieber, der einst in einer Schule seine Dienste tat. Diesen kombiniert Haußmann mit drei roten Dreiecken, die aber aus der Form geraten und ganz und gar nicht regelmäßig sind. Wenn da nicht Ironie mitgespielt hat. Der Künstler sagt nur: „Die sogenannten Dreiecke liegen mir näher als der Rechenschieber.“ Die Gespräche über die Kunst streifen noch viele Themen, auch bekommen die Gäste eine kleine Führung durch das Areal. Das Kunstwerk mit dem Titel „Es verneigt sich das Rad“ steht dort, wo es zum Staatlichen Schulamt geht. Am Ende ist es an den Gästen, sich im übertragenen Sinne vor dem Künstler zu verneigen, der sie ganz bestimmt zu eigenen Werken inspiriert hat.

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Erstellt:
2. September 2022, 16:00 Uhr

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