About Pop 2025

Von Cancel Culture bis Heartbreakerei – Highlights des Stuttgarter Popfests

Konzerte, Vorträge und Festivalstimmung in Stuttgart: So war’s bei About Pop 2025, bei der fast der Bundeskanzler dazwischen gefunkt hat.

Vereint viele Geschmäcker: Andreas Dorau bei seinem Auftritt im Park der Villa Reitzenstein.

© Ilkay Karakurt

Vereint viele Geschmäcker: Andreas Dorau bei seinem Auftritt im Park der Villa Reitzenstein.

Von Jan Georg Plavec

Der vielleicht schönste Moment der About Pop 2025 findet im Park der Villa Reitzenstein statt, direkt neben dem unfassbar schönen Sitz der Landesregierung. Andreas Dorau macht ihn mit seinem Konzert noch schöner, und am allerschönsten ist sein Publikum. Jung und Alt, Anzug und Kutte können sich an diesem Samstagnachmittag darauf einigen, dass hier alles genau richtig ist: „So ist das nun mal.“

Der Song erschien 1997, was ziemlich genau zwischen Doraus Hit „Fred vom Jupiter“ und dem About-Pop-Samstag liegt – musikalische Moden sind für diesen Künstler längst unerheblich. Dass Winfried Kretschmann das Festival einige Stunden zuvor eröffnet und das Publikum ihm ein Ständchen gibt, bringt die Organisatoren weniger zum Schwitzen als der spontane Geburtstagsbesuch von Bundeskanzler Friedrich Merz kurz davor, als längst die ersten Besucher im Park sind. Am Ende ist alles gut: Andreas Doraus Disco-Dada schafft, was Pop unter anderem leisten soll: möglichst breit Gemeinschaft stiften.

Dass im Pop auch Gemeinschaften zerbrechen können, macht am ersten von zwei Festivaltagen das Panel zur „Row Zero“-Recherche der Journalisten Lena Kampf und Daniel Drepper am Freitag im Wizemann klar. Dass die Enthüllungen zum Backstage-Gebaren Till Lindemannns bislang eher für Medien wie den „Spiegel“ als für den Rammstein-Sänger juristischen Folgen haben, ist weniger das Thema. Sondern wie man als Fan reagiert, wenn der Lieblingskünstler infolge von Fehlverhalten gecancelt wird.

„Mir gelingt die Trennung von Kunst und Künstler zum Beispiel bei Michael Jackson nicht so gut“, sagte Lena Kampf, „also ob ich für die Musik Geld ausgebe oder auf einer Hochzeit dazu tanze“.

Moral und Politik in der Musik

Die Branche bearbeitet Themen wie Missbrauch durch Machtgefälle mittlerweile aktiv. Die Künstlerverträge der Marketingexpertin Mareike Thome führen mittlerweile rassistische oder sexistische Ansichten und Vorfälle als Kündigungsgrund an. Vor allem wenn Bands und ihre Entourage rein männlich besetzt seien, „kriegt das schnell was Toxisches“, sagt die Konzertveranstalterin Anika Jankowski. Es sei für Künstler schwer auseinanderzuhalten, ob Fans sie als Künstler oder als Mensch attraktiv finden. Ihre Lösung: keine Fans im Backstagebereich.

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Neben Moral geht es auch um Politik. Das Solokonzert von Sebastian Krumbiegel (Die Prinzen) am Klavier wird auch deshalb so gefeiert, weil da sanfte Musik auf drängende bis empörte Texte trifft – für ein „Nie wieder“ und gegen die längst nicht nur in Krumbiegels ostdeutscher Heimat erstarkende rechtsextreme Weltanschauung. Hoffnung machen sie auch noch: „Wenn wir dran glauben, wird es wunderschön.“

Während Krumbiegel noch singt, tritt die Stuttgarter Band Sex im Dunkeln auf die Bühne. Die Bandfotos und der Instagram-Account sehen super aus, die Gruppe steht moralisch auf der richtigen Seite und hat eine, wie es sich heute gehört, queere Sängerin – das Publikum weiß das, weil sie es ihm genau so mitteilt. So arg viel weiter führt ihr Auftritt allerdings nicht, auch musikalisch. Von den Alten kann man also noch etwas lernen. Nun muss nicht jeder im Pop immer die Synthese schaffen. Interessante künstlerische Positionen sind mindestens genauso wichtig, insbesondere bei einem so anspruchsvollen Festival.

„Was bleibt uns als Tupperware“

Die österreichische Band Endless Wellness beispielsweise verbindet allergrößte Spielfreude mit der herrlichen Songzeile „Was bringt uns um / Die guten Jahre / Was bleibt uns als Tupperware“. Zum Publikumsliebling avanciert Fuffifufzich mit ihrer musikalischen und textlichen Falco-Hommage. Wem sonst wären sonst Refrains wie „Hallo 110, ist da die Po-Polizei? Ich möchte Anzeige erstatten wegen Heartbreakerei“ zuzutrauen? Der heimliche Star ist freilich die Übersetzerin, die alles tanzend in Gebärdensprache übersetzt. Charmanter kann Barrierefreiheit nicht Teil einer Popshow werden, und es sind genau diese neuen Standards, mit denen sich die About Pop abhebt.

Die Headlinerin Alice Phoebe Lou muss krankheitsbedingt absagen, deshalb kulminiert der Festival-Freitag im Auftritt des dänischen Produzenten Trentemøller. Die Band füllt die große Bühne aus und will fast zu viel auf einmal. Schon die Studioversion von Songs wie „Behind my eyes“ darf als vielschichtig bezeichnet werden, live schichten Trentemøller und Co. Techno, Postpunk und Industrial-Sounds zu einem beeindruckend dichten Sound.

Festival schafft Öffentlichkeiten

Für das Clubfestival am Samstag hat das Popbüro diesmal nur Stuttgarter Locations zugelassen. Dass am Ende trotzdem zu viel Interessantes gleichzeitig passiert, macht die Routenplanung anspruchsvoll. Doch es passt ja auch zum Lebensgefühl vieler Menschen, ständig woanders etwas vielleicht noch Interessanteres zu vermuten. Wer zu spät im irgendwann überfüllten Cannstatter Club Sunny High auftaucht, verpasst dann trotzdem den Auftritt von Bangerfabrique. Wer es reinschafft, erlebt das linksfeministische Rapquartett am genau richtigen Ort, zumal die unter der Woche zerstörte Regenbogenfahne des Clubs auf die real existierenden Kulturkämpfe hinweist.

Dass das Festival anders als im Vorjahr nicht ausverkauft ist (laut Veranstaltern kamen rund 5500 Besuchende), mag mit der etwas weniger glücklichen Auswahl der Headliner zu tun haben. Den Wert der About Pop für die Branche, die Gesellschaft und die Stadt Stuttgart schmälert es nicht. Das Festival schafft Öffentlichkeiten für die alten und neuen Clubs und für aufstrebende lokale Künstler, von Seventeen Silver Nails über Futsch bis zu Levin goes lightly, der für die ebenfalls erkrankten Robocop Kraus einspringt und das Goldmark’s zum Festivalabschluss in eine Sauna verwandelt. „Bis nächstes Jahr“ heißt es hinterher auf Instagram. Gut so!

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Erstellt:
18. Mai 2025, 12:50 Uhr
Aktualisiert:
18. Mai 2025, 15:45 Uhr

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