Best Ager in der Pflege: Wenn nach der Rente noch nicht Schluss ist

Karin Holspach-Richter, Edith Albrechts und Gerda Kaufmann-Eckerle arbeiten bei der Diakonie ambulant in Murrhardt, obwohl sie schon im Ruhestand sind – in unterschiedlichem Umfang und vor verschiedenen Hintergründen. Der ambulante Pflegedienst erfährt so wertvolle Hilfe.

Gut gelaunte Runde mit (von links) geschäftsführendem Vorstand Thomas Nehr, Karin Holspach-Richter, Edith Albrechts und Gerda Kaufmann-Eckerle beim Treffen in der Diakoniestation in Murrhardt. Foto: Stefan Bossow

© Stefan Bossow

Gut gelaunte Runde mit (von links) geschäftsführendem Vorstand Thomas Nehr, Karin Holspach-Richter, Edith Albrechts und Gerda Kaufmann-Eckerle beim Treffen in der Diakoniestation in Murrhardt. Foto: Stefan Bossow

Von Christine Schick

Murrhardt. Über die Pflege wird dieser Tage viel berichtet, die zentrale Thematik ist der Pflegenotstand vor allem durch Personalknappheit inklusive Fliehkraft, sprich dass auch Fachkräfte aus dem Beruf aussteigen. Erst Mittwoch fand der erste Pflegegipfel des Rems-Murr-Kreises in Backnang (wir berichteten) zu den künftigen Herausforderungen statt. Insofern ist es überraschend, dass es der Diakonie ambulant Gesundheitsdienste Oberes Murrtal als ambulantem Pflegedienst mit Sitz in Murrhardt gelungen ist, nicht nur personell gut aufgestellt zu sein, sondern auch einige Fachkräfte zu halten beziehungsweise noch zu beschäftigen, obwohl sie schon im Ruhestand sind.

Karin Holspach-Richter und Edith Albrechts sind beide 70 Jahre alt und gehören zum sogenannten Best-Ager-Team von Diakonie ambulant. Der Name steht für diejenigen Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die schon in Rente, aber noch in unterschiedlichem Umfang für den Pflegedienstleister tätig sind. Die beruflichen Wege der beiden Frauen ähneln sich in einigen Punkten, gleichzeitig sind sie individuell und von spezifischen Lebensumständen geprägt.

Zweite Ausbildung mit 40 Jahren

Karin Holspach-Richter, ursprünglich Industriekauffrau, kam nach Großerlach, als ihre Familie dort baute. Um die Haushaltskasse etwas aufzubessern, schaute sie sich als Mutter zweier Kinder damals nach einer Arbeitsmöglichkeit in der Nähe um und kam so in Kontakt mit einem privaten Haus, das Pflegebedürftige aufnahm und sich nach und nach zum Pflegeheim entwickelte. „Mir hat die Arbeit Spaß gemacht und es tauchte die Frage auf, ob ich nicht noch eine Ausbildung machen will“, erzählt sie. Sie wollte, packte die dreijährige Ausbildung zur Pflegefachkraft mit 40 Jahren an. Als sie später nach Fornsbach umzog, hat sie sich bei Diakonie ambulant beworben, wo sie mittlerweile seit 2008 arbeitet – erst als Springerin, später in der Pflegedienstleitung. „2016 bin ich dann in Rente gegangen“, sagt sie. So ganz ziehen lassen wollte sie die Diakonie ambulant aber nicht. Zunächst betreute sie eine Gruppe Demenzkranker, seit 2018 unterstützt sie das Pflegedienstleitungsteam weiterhin bei der Tourenplanung und Organisation mit im Schnitt 27 Stunden im Monat. Dass sie noch so fit ist, ist für Karin Holspach-Richter auch ein echtes Geschenk. „Ich möchte einfach noch aktiv sein und was bewegen“, sagt sie. Als kleiner Zusatzbeweis dienen könnte, dass sie vor Kurzem ihren Sohn in Mexiko besucht hat und dort in eine ganz andere Kultur eingetaucht ist.

Das finanzielle Zubrot tut gut

Ihre Kollegin und Altersgenossin Edith Albrechts bekennt offen, dass sie über den Zuverdienst ihrer Tätigkeit – 31 Stunden im Monat – nicht ganz unglücklich ist. Als es sie in den 1980ern wegen ihres Manns von der Nordsee nach Murrhardt verschlug, streckte sie als Mutter dreier Kinder und gelernte Stenotypistin die Fühler aus. Auch sie fing bei einem Haus an, das sich als Pflegeeinrichtung etablierte und entschloss sich zu ihrer Ausbildung als Pflegefachkraft, die sie mit 44 Jahren begann. Der damalige Leiter der Diakonie ambulant, Hans-Dieter Schütt, holte sie im Anschluss an Bord. Aufgrund einer schweren Erkrankung musste Edith Albrechts einige Jahre pausieren, begann bei ihrem Neustart eine Fortbildung zur Pflegeberatung, was daraufhin ein wichtiges Arbeitsfeld wurde. Auch sie ist mittlerweile in Rente, hat aber entschieden, für eine Reihe von Patientinnen und Patienten die Betreuung zu übernehmen. „Das heißt, ich besuche die Menschen, manche möchten ein Gesellschaftsspiel machen, sich unterhalten oder vorgelesen bekommen, manchmal kaufe ich auch ein“, sagt sie. Auch ein paar wenige Pflegeberatungsgespräche übernimmt sie noch. „Manche sagen schon, du kannst ja nicht genug kriegen“, meint sie schmunzelnd, aber dass ihr die Arbeit noch Spaß mache und angesichts des überschaubaren Kontingents noch genug Freizeit übrig bleibe. Die Menschen, die sie betreut, sind ihr ans Herz gewachsen, es sind langjährige Beziehungen entstanden, durch die sie weiß, was den Betreffenden im Rahmen der Betreuung besonders Freude macht. „Und es tut finanziell einfach auch gut“, sagt sie.

„Die Arbeit erfüllt mich noch. Ich würde die Vielseitigkeit der Situationen und Begegnungen vermissen“

Gerda Kaufmann-Eckerle ist seit Februar als Logopädin halbtags für die Diakonie ambulant tätig. Sie ist 67 Jahre alt und blickt auf ein intensives Berufsleben zurück. Nach ihrer Ausbildung als Erzieherin hatte sie den Wunsch, sich in Bezug auf die Sprache zu spezialisieren und machte ihre Ausbildung als Logopädin. Über die Verbindung beider Bereiche sind es bis heute vor allem Kinder, die sie behandelt. Als ihre eigenen beiden Youngster Zeit benötigten, pausierte sie, machte sich später im Raum Ulm mit einer eigenen Praxis selbstständig, die sie bis 2014 betrieb. Danach entschloss sie sich, freiberuflich für verschiedene Praxen zu arbeiten. Mit dem Renteneintritt war klar: „Ich bin nach Schorndorf umgezogen, weil ich bei meiner Schwester sein wollte“, erzählt sie. Aber auch wenn die freiberufliche Zeit zu Ende sein sollte, wollte sie nicht nur zu Hause sein. Also hat sie sich umgesehen und bei der Diakonie ambulant angeheuert. „Die Arbeit erfüllt mich noch. Ich würde die Vielseitigkeit der Situationen und Begegnungen vermissen“, sagt sie. Auch eine gewisse Rolle spielt, dass sie nicht wenige Menschen erlebt hat, die nach ihrer Berufstätigkeit früh gealtert sind. „Immer wieder mit neuen Menschen konfrontiert zu sein hält auch geistig fit.“

Das kann Karin Holspach-Richter unterschreiben. Insbesondere die Biografien, von denen man über die Arbeit erfährt, sind für sie spannend. „Über Bilder oder Bücher, das private Zuhause lässt sich auch leichter anknüpfen, das ist ein großer Pluspunkt bei der ambulanten Pflege“, ergänzt Edith Albrechts. Auch während der logopädischen Behandlung baut sich eine Beziehung auf, erzählt Gerda Kaufmann-Eckerle, die schwerpunktmäßig weiterhin Kinder behandelt, zu deren Patientinnen und Patienten aber auch Erwachsene und ältere Menschen gehören. Eine Ausnahme gibt es: Bei Hochbetagten besteht unter Umständen die Schwierigkeit, dass diese während der Therapie umgelagert werden müssen, was körperlich anspruchsvoll ist und sie so nicht mehr stemmen kann. Nach heutigem Stand will sie noch drei Jahre im Job bleiben, wobei ihr die lange Berufserfahrung einfach zugutekommt. Das ist bei ihren Best-Ager-Kolleginnen nicht anders. „Aber ich genieße es, nur noch halbtags zu arbeiten, kann morgens länger Zeitung lesen und wachse da jetzt allmählich rein“, sagt Gerda Kaufmann-Eckerle.

Für die Diakonie ambulant bedeuten die Best Ager auch die Weitergabe von Erfahrung innerhalb des Teams

Gesundheitskonzept „Das Best-Ager-Team gibt es seit sechs oder sieben Jahren und ist entstanden, als wir unser Gesundheitskonzept BELEV für die Diakonie ambulant entwickelt haben“, erzählt Thomas Nehr, geschäftsführender Vorstand von Diakonie ambulant. Er ist dankbar für die weitere Unterstützung der zurzeit sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Pflege, Therapie, Hausservice), erkundigt sich aber auch entsprechend im Vorfeld, ob Teammitglieder, die auf die Rente zusteuern, sich vorstellen können, in diesem Modus weiterzuarbeiten. Nicht zu unterschätzen ist für ihn dabei, die Erfahrung, die so auch an jüngere Teammitglieder weitergegeben werden kann. Wichtig ist ihm ebenso die Botschaft, dass dies nicht bedeutet, sich bis ins Alter in der Pflege abschaffen zu müssen, sondern sich in überschaubarem Umfang etwas dazuzuverdienen – mit den entsprechenden Freiheitsgraden. „Das ist für uns und die Patienten eine tolle Sache.“

Portfolio Diakonie ambulant – Gesundheitsdienste Oberes Murrtal e.V. ist eine gemeinsame Einrichtung von Krankenpflegevereinen, Kirchen, Stadt und Gemeinden mit Sitz in Murrhardt. Neben der Walterichstadt sind weitere Standorte Grab, Großerlach, Spiegelberg und Sulzbach an der Murr. Eine Besonderheit ist, dass neben der ambulanten Pflege auch Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie angeboten werden können. Infos: www.stark-fuer-andere.de

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Erstellt:
30. Mai 2023, 16:00 Uhr

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