Könnte Biogas russisches Erdgas ersetzen?

Theoretisch könnte Biomethan aus örtlichen Biogasanlagen einen Teil des russischen Erdgases ersetzen, doch dafür ist eine teure Umwandlung nötig, die sich für die Betreiber nicht lohnt. Sie könnten aber deutlich mehr Strom und Wärme produzieren – wenn die Politik die Weichen stellt.

Micha Baumgärtner könnte die Strom- und Wärmeproduktion seiner Biogasanlage problemlos steigern. Doch dafür müsste die Politik Produktionsdeckel für Biogasbetreiber lockern. Foto: Kristin Doberer

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Micha Baumgärtner könnte die Strom- und Wärmeproduktion seiner Biogasanlage problemlos steigern. Doch dafür müsste die Politik Produktionsdeckel für Biogasbetreiber lockern. Foto: Kristin Doberer

Von Kristin Doberer

Rems-Murr. Deutschland will seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine unabhängiger von russischem Erdgas werden und bereitet sich auf Lieferengpässe und immer weiter steigende Gaspreise vor. Ersatz wird in Katar und aktuell in Kanada gesucht, damit die Wohnungen auch in den kommenden Wintern warm bleiben. Und auch über eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken wird diskutiert, denn rund 13 Prozent des Gases werden zur Erzeugung von Strom verwendet.

Um zumindest einen Teil der benötigten Wärme und des Stroms zu ersetzen, sind seit Kurzem auch Biogasanlagen wieder im Gespräch. Aus einer Kurzstudie des Deutschen Biomasseforschungszentrums (DBFZ) geht nämlich hervor, dass sich bis zu 46 Prozent der durch Gaskraftwerke erzeugten Stromproduktion durch Biogas decken lassen könnten. Außerdem könnte sich der Anteil von Biomethan, also aufbereitetes Biogas, das fast nur noch aus Methan besteht und in das Erdgasnetz eingespeist werden kann, am deutschen Gasmarkt verdreifachen. Bislang hat Biomethan einen Anteil von gerade einmal einem Prozent am deutschen Gasmarkt.

Im Rems-Murr-Kreis gibt es laut dem Landwirtschaftsamt zwar etwa 20 Biogasanlagen, allerdings keine, die solches Biomethan produzieren. „Manche sind an die örtliche Nahwärme angeschlossen, vor allem wird aber Strom produziert“, sagt Amtsleiter Michael Stuber. Um Biomethan zu produzieren, müssen Biogasanlagen umgerüstet werden, damit der CO2-Gehalt reduziert werden kann (siehe Infokasten). „Das ist technisch sehr aufwendig und teuer“, so Stuber. Auch sei es schwierig, eine Anlage auf die Schnelle umzustellen. Außerdem seien viele Anlagen in der Region schlicht zu klein, damit sich die großen Investitionen tatsächlich lohnen.

Wärme aus Biogasanlagen fließt in örtliche Nahwärmenetze

Für die örtlichen Betreiber von Biogasanlagen ist das Thema auch aus anderen Gründen noch nicht relevant. „Bei uns gäbe es ja gar kein Gasnetz, in das wir einspeisen können“, meint ein Betreiber, der nicht namentlich genannt werden möchte. Um in eine solche Richtung zu investieren, sei außerdem schwierig, da politisch immer wieder Hürden in den Weg gelegt würden und vielen Betreibern die Zukunftssicherheit fehlt. Das bestätigt auch Helmut Bleher vom Bauernverband. „Bei den notwendigen Millioneninvestitionen ist das Risiko viel zu groß“, sagt er.

Dabei seien Biogasanlagen bei optimaler Gestaltung – also dann, wenn die Wärme genutzt wird – ein „sehr nachhaltiges und verlässliches Instrument zur Versorgung der Bevölkerung mit Strom und Wärme“, so Bleher weiter. Biogasanlagen seien grundlasttauglich und begleiteten die wetterabhängigen erneuerbaren Rohstoffe Wind und Sonne in optimaler Weise. „Ohne das Vorhandensein einer grundlasttauglichen Stromversorgung sind Fotovoltaik- und Windanlagen nicht denkbar.“ Laut dem Positionspapier der DBFZ gibt es ebenso Einsatzbereiche, in denen Biogas Erdgas teilweise auch ohne vorherige Aufbereitung ersetzen kann. Dazu gehören die Stromerzeugung und Wärme. In Aspach beispielsweise erzeugt der Schöntaler Hof seit etwa zehn Jahren aus Putenmist und Pflanzen Strom. Die dabei anfallende Wärme wird seit 2016 für die Beheizung von Gebäuden in Großaspach genutzt. Rund 330 Haushalte sowie mehrere Gebäude der Gemeinde können damit jedes Jahr rund 300000 Liter Heizöl beziehungsweise die entsprechende Menge an Erdgas einsparen, so die Süwag, die das Nahwärmenetz dort betreibt.

„Mit Biogas können wir Erdgas einsparen“

„Wir könnten problemlos hochfahren und etwa 30 bis 40 Prozent mehr leisten“, sagt Micha Baumgärtner, der die Biogasanlage im Schöntaler Hof betreibt. Ohnehin habe er vor Kurzem eine neue Grube für die längere Lagerung bauen müssen, dadurch sei es möglich, die Leistung der Biogasanlage ohne Mehraufwand und sofort zu steigern. Auch habe er noch genug Ausgangsmaterial, um schon in diesem Winter die Leistung zu steigern. „Aber dafür müssen wir auf ein Zeichen von der Politik warten“, sagt Baumgärtner. Denn die meisten Anlagen produzieren wegen verschiedener Beschränkungen aktuell nicht die technisch maximal mögliche Biogasmenge. Der baden-württembergische Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) hat schon vor wenigen Wochen vorgeschlagen, die Biogasproduktion anzukurbeln und die Betriebsbeschränkungen zu lockern. „Mit Biogas können wir Erdgas einsparen. Jetzt gilt es bürokratische Hürden rasch abzubauen.“ Passiert ist das bisher noch nicht, das sorgt teilweise für Unverständnis bei den Betreibern. „Wenn gerade jedes KW zählt, verstehen wir nicht, warum wir nicht mehr machen dürfen“, sagt Baumgärtner dazu. Er ist aber froh, dass die Debatte um die Möglichkeiten von Biogas auf politischer Ebene nun zumindest wieder geführt wird.

Auch Bleher bestätigt, dass die vorhandenen Biogasanlagen regelmäßig etwa 30 Prozent mehr Leistung erzeugen könnten und so die stark steigenden Preise auf dem Strommarkt zumindest etwas gebremst werden könnten. „Allerdings braucht man hierzu ‚Futter‘. Bei steigenden Getreide- und Maispreisen ist der Rohstoff, das Substrat, also in der Regel Mais, schon fast zu teuer“, sagt er und geht damit auch auf einen der größten Kritikpunkte ein, der häufig zum Thema Biogas geäußert wird.

Konkurrenz auf den Feldern: Nahrungsmittel oder Energieerzeugung?

„Natürlich müssen wir dabei die ‚Tank/Teller‘-Diskussion im Blick haben. Unbegrenzt lässt sich die Biogaserzeugung nicht steigern, weil damit ja Brotgetreide verdrängt würde“, sagt Bleher. „Hier muss sich die Gesellschaft überlegen, was wichtiger ist: Klimaschutz durch nachwachsende Rohstoffe oder die Ernährung zu erträglichen Preisen.“ Zumindest kurzfristig wäre es aber machbar, den sogenannten Produktionsdeckel für Biogaserzeuger zu lockern und den Anlagenbetreibern zu erlauben, mehr zu erzeugen, fordert auch er. Künftig sei Biogas besonders dann sinnvoll, wenn es „zum einen mit der Vergärung von betriebseigener Gülle oder Mist gekoppelt werden kann und zusätzlich die Heiznutzung optimiert wird“. Dies sei möglich, ohne das Verhältnis zum Nahrungsmittelmarkt zu stören.

Gerade angesichts der steigenden Heizkosten bei Öl- und Gasheizungen sei die Nachfrage nach der Abwärme aus der örtlichen Biogasanlage wieder gestiegen, auch in Aspach. Haushalte, die beim Leitungsbau 2016 noch kein Interesse gezeigt haben, wollen zum Teil nun doch angeschlossen werden. So gebe es jetzt Anfragen, ob Häuser, an denen die Nahwärmeleitung ohnehin vorbeigeht, nicht doch noch angeschlossen werden könnten. „Jetzt im Nachhinein ist das Anschließen schwierig“, schätz Baumgärtner ein. Schließlich sei das Verlegen von Leitungen gerade zu den aktuellen Preisen sehr teuer.

Nahwärmenetz wird weiter ausgebaut

Er verweist aber auch darauf, dass das Nahwärmenetz ohnehin erweitert werden soll. So sollen die Straßen Biegel, Freihof, Freihofgärten, Hermann-Schadt-Straße, Karlstraße, Mairichweg, Wilhelmstraße und Konrad-Weißer-Straße angeschlossen werden. Hier finden laut Süwag aktuell Abfragen bei den Anwohnern statt. Die Bauarbeiten sollen bis Anfang 2023 beginnen und das Netz soll im Laufe des Jahres 2023 in Betrieb gehen.

Biomethan als Erdgasersatz

Biogasanlagen Während das entstehende Gas aus einer üblichen Biogasanlage vor allem genutzt wird, um Strom zu erzeugen – die dabei entstehende Wärme, die teilweise ins Nahwärmenetz eingespeist wird, ist vielmehr ein Nebenprodukt –, gäbe es auch die Möglichkeit, das Gas als Ersatz für russisches Erdgas zu verwenden.

Umwandlung Dafür muss das Gas aber gereinigt, also in sogenanntes Biomethan umgewandelt werden. Bei dem Prozess muss der CO2-Gehalt reduziert werden. Erst dann kann es in das Erdgasnetz eingespeist werden.

Schwäbisch Hall Die Stadtwerke Schwäbisch Hall betreiben seit Dezember 2021 zwei Heizkraftwerke mit Biomethan statt mit Erdgas, drei kleinere Blockheizkraftwerke sind direkt an ein bestehendes Biogasnetz angebunden.

Rems-Murr-Kreis Im Rems-Murr-Kreis gibt es laut Landwirtschaftsamt und Bauernverband bisher noch keine Anlage, die Biomethan in das Erdgasnetz einspeist.

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Erstellt:
24. August 2022, 06:00 Uhr

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