Tierheime sind an ihrer Belastungsgrenze
Tierschützer haben in einem deutschlandweiten Brandbrief auf die schwierige Situation in den Tierheimen aufmerksam gemacht. Die Einrichtungen in Backnang und Großerlach berichten ebenfalls von immer voller werdenden Aufnahmestellen.

Für Hades, einen Dogo Argentino, sucht Marion Bentrup ein neues Zuhause. Foto: privat
Von Carolin Aichholz
Backnang/Großerlach. Viele Tierheime in ganz Deutschland stehen gerade vor demselben Problem: Sie müssten viel mehr Tiere aufnehmen, als sie können. Vor allem bei den Hunden gehen die Abgabeanfragen bundesweit durch die Decke. Ein Bündnis von Tierschützern hat, unter der Leitung des Vereins Schattenhund, per Online-Petition einen Brandbrief an das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geschrieben. Auch die Bundestierschutzbeauftragte Ariane Kari soll so auf die aktuelle Situation aufmerksam gemacht werden.
In diesem Brief werden politische Maßnahmen gefordert, um das Problem einzudämmen. Der Welpen- und Hundehandel aus dem Ausland soll besser kontrolliert werden, auch im Internet. Außerdem wird eine Registrier- und Kennzeichnungspflicht für Hunde gefordert sowie ein Befähigungsnachweis für Neu-Hundehalter. Die Tierheime sollen zudem durch existenzsichernde Finanzierungsmodelle und schnelle Hilfen in Notsituationen gestärkt werden.
Zu viele Tiere werden abgegeben und die Aufnahmebereitschaft ist gering
Marion Bentrup kann als Leiterin des Tierheims in Großerlach viele der aufgeführten Probleme nachvollziehen. Die Hunde, die sich viele Menschen während der Pandemie aus Einsamkeit und Langeweile angeschafft haben, seien jedoch in der ländlichen Gegend im Raum Backnang weniger ein Problem. Der Handel mit Tieren aus dem Ausland füllt jedoch stetig ihre Quarantänestation. Denn laut Gesetz dürfen Welpen erst nach einer abgeschlossenen Tollwutimpfung und damit frühestens im Alter von 15 Wochen nach Deutschland gebracht werden, das wird an vielen Grenzen jedoch nicht kontrolliert. Und da sich die frischgebackenen Hundehalter durch den Besitz eines Impfpasses sicher wähnen, fällt der fehlende Tollwutschutz oft erst beim Tierarztbesuch in der Heimat auf. Diese Hunde müssen dann je nach Alter einige Wochen im Tierheim verbringen, die Impfung ist nämlich erst nach zwölf Wochen wirksam.
„Wir können gar nicht allen Anfragen nachkommen“, sagt Marion Bentrup. Diese Hunde dürfen dann bis zum Abschluss der Impfung nicht raus aus ihrem Zwinger und auch nicht mit anderen Quarantänehunden spielen, außer sie kommen aus demselben Haushalt. Damit sei die erste Prägephase bereits sehr schwierig, weil der Welpe keinen Kontakt zu anderen Hunden oder zu Menschen, abgesehen vom Pflegeteam, hat.
Den illegalen Handel besser zu überwachen und dadurch einzudämmen, wäre für Marion Bentrup also bereits ein wichtiger Schritt, ebenso wie die Kennzeichnung und Meldung der Hunde in einem zentralen Register, damit Herkunft und Besitzer einfacher herauszufinden seien.
Kleine Kätzchen sind derzeit kaum zu vermitteln
Aktuell gibt es im Hundehaus zwar noch freie Plätze, es müssen jedoch auch immer Plätze für dringende Fälle des Veterinäramts oder für Beschlagnahmungen der Polizei frei gehalten werden. Außerdem bietet das Heim in den Ferien auch „Urlaubshunden“ einen Platz und ist in den letzten drei Ferienwochen darum ausgebucht.
Bei den Katzen ist die Lage schwieriger. Fünf Mutterkatzen mit ihren Katzenkindern und Jungtieren aus insgesamt acht Würfen leben aktuell im Tierheim. „In Zeiten der Pandemie wurden uns und allen Höfen der Umgebung die Kätzchen aus den Händen gerissen, viele wurden nicht kastriert und jetzt vermehren sie sich. Die Kleinen will im Moment keiner haben“, sagt Marion Bentrup. Die Aufnahme weiterer Katzen wurde darum inzwischen gestoppt.
Mittlerweile ist sie darüber sogar ein bisschen froh, denn die unüberlegte Anschaffung der Haustiere ist die Wurzel des Problems. „Mann kann spontan an einem Samstagnachmittag losfahren und einen Hund kaufen. Es soll natürlich ein niedlicher Welpe sein, man hat sich aber nicht überlegt, wie viel Zeit und Geld in seine Pflege und Erziehung gesteckt werden müssen und dass bestimmte Rassen auch ganz individuelle Bedürfnisse haben. Oder dass man im Urlaub jemanden braucht, der auf das Tier aufpasst. Dazu können auch mal teure Tierarztbesuche anfallen.“ Wenn die Tierhalter dann die Probleme bemerken, die auf sie zukommen, sei es oft am einfachsten, den Hund im Heim abzugeben.
Von der Polizei beschlagnahmte Hunde landen auch im Tierheim
Dort hat man aber auch nicht die personellen oder finanziellen Möglichkeiten, die es bräuchte, um Hunde wieder komplett umzuerziehen, das betont Marion Bentrup. „Bei uns landen auch die Hunde, die von der Polizei beschlagnahmt werden und die unter Umständen viele schlimme Dinge erlebt haben. Für jeden Einzelnen müsste man sehr viel Zeit und Geld in Hundetraining investieren.“ Und diese Hunde wieder weiterzuvermitteln, sei fast ein Ding der Unmöglichkeit. So werden stetig mehr Plätze von „Dauergästen“ belegt und die freien Plätze werden immer weniger.
Momentan scheint die Aufnahmebereitschaft der Menschen jedoch nicht nur bei Problemhunden besonders gering zu sein. Laut Petra Conrad vom Tierpflegenest in Backnang haben es sogar unkomplizierte Tiere im Moment schwer, ein neues Zuhause zu finden. „Es gibt Tage, an denen bekomme ich Anfragen für fünf Hunde. Inzwischen sind wir aber an unsere Grenzen gestoßen und können nur noch dringende Notfälle im Tierpflegenest aufnehmen.“
Probleme häufen sich und Lösungen sind schwer zu finden
Zu allem Übel wurde auch die Gebührenordnung der Tierärzte im November verändert. Viele Untersuchungen und Impfungen kosten teilweise doppelt oder sogar dreimal so viel wie zuvor. „Diese Mehrkosten können viele Tierbesitzer einfach nicht mehr stemmen“, sagt Petra Conrad.
Auch die Tierheime sehen sich allerlei steigenden Kosten gegenüber und gleichzeitig sinkt die Spendenbereitschaft der Menschen. Futterspenden sind laut Marion Bentrup im Tierheim Großerlach um bis zu 75 Prozent eingebrochen. Und auch der Zukauf von Futter kostet inzwischen einiges mehr. Die Forderung nach einer existenzsichernden Finanzierung wäre also für die Tierheime wünschenswert, die Erfahrung lehrte Marion Bentrup allerdings, nicht zu viel Hoffnung in Unterschriftenaktionen oder Brandbriefe zu setzen. Die allgemeine Aufmerksamkeit werde zwar eine Zeit lang auf diese Probleme gelenkt, grundlegende Veränderungen resultieren daraus jedoch nur selten, obwohl sie einzelne Punkte wie die Registrier- und Meldepflicht durchaus für sinnvoll und längst überfällig hält.
Würde ein Hundeführerschein etwas bringen?
Vom Nutzen des Hundeführerscheins ist die Leiterin des Tierheims in Großerlach jedoch nicht vollkommen überzeugt. Dieser Befähigungsnachweis ist in Niedersachsen bereits seit zehn Jahren Pflicht für Hundehalter und auch andere Bundesländer sind dem Beispiel gefolgt. In Baden-Württemberg steht im aktuellen Koalitionsvertrag, dass ein „verpflichtender Sachkundenachweis“ nach dem Vorbild Niedersachsens geprüft und umgesetzt werden soll. Momentan muss man nur für bestimmte Kampfhunderassen, sogenannte „Listenhunde“ spezielle Voraussetzungen erfüllen und Befähigungsnachweise erbringen. Welche Rassen als gefährliche Hunde aufgelistet sind, unterscheidet sich je nach Gebiet.
Marion Bentrup glaubt nicht, dass durch die Einführung des Hundeführerscheins all diese Probleme gelöst werden. „Die Tierheime in den Bundesländern, in denen das bereits Pflicht ist, sind doch auch voll.“
Mehr Aufklärung und Sachkunde wünscht sich Marion Bentrup sehr, doch letztlich könne man nur an die Eigenverantwortung der Menschen appellieren. Diese sollten sich alle Aspekte der Haltung und Betreuung vor Augen führen und genau überlegen, ob man der Verantwortung gewachsen ist. „Wenn die Menschen sich über die Rasse ihres Hundes und seine individuellen Bedürfnisse gut informieren und ihn dementsprechend behandeln, dann würden viele Probleme gar nicht erst entstehen.“
Weiterführende Informationen Alles Weitere zum Tierschutzverein und dem Tierheim Großerlach findet sich unter www.tierschutzverein-backnang.de. Näheres zum Tierpflegenest in Backnang gibt es auf der Website www.tierpflegenest.de.Die Petition für mehr Tierschutz kann unter dem Link www.innn.it/brandbrieftierschutz online unterschrieben und damit unterstützt werden.
© Tina Braun // Brownie Photograph
Auch Schäferhund-Mix Diva tobt aktuell im Tierheim in Großerlach. Foto: Tina Braun