Die Haut des blauen Engels

Am Sonntagabend hat die Ute Lemper der Ikone Marlene Dietrich im Hegelsaal Tribut gezollt

ChansonEin lange zurückliegendes Telefonat der jungen Ute Lemper mit Marlene Dietrich hat die Sängerin zu einem Chansonabend zu Ehren der Grande Dame des deutschen Kinos inspiriert.

Stuttgart Paris, an einem Abend im November 1988. In der Avenue Montaigne Nummer 12 hebt Marlene Dietrich ihr Telefon ab und wählt eine Nummer in Deutschland. Am anderen Ende, in einem Frankfurter Hotel, lauscht Ute Lemper der samtigen Stimme der Dietrich am Hörer und kann es nicht fassen. Nachdem die Presse in Frankreich Lemper in ihrer Rolle der Sally Bowles als „la nouvelle Marlene“ bezeichnet hatte, wandte sich die damals 24-jährige in einem Brief an die mittlerweile 87-jährige Diva, ohne Hoffnung, dass diese sich jemals melden würde. Doch Dietrich rief tatsächlich zurück, so erzählt es Ute Lemper am Sonntagabend in „Rendezvous mit Marlene“, ihrer One­Woman-Show mit vierköpfiger Begleit-Band im Hegelsaal. ­

Das mehrstündige Gespräch muss die junge Musicaldarstellerin tiefbeeindruckt haben; über dreißig Jahre später hat es die inzwischen selbst berühmte Wahl-New-Yorkerin zu einem musikalisch-biografischen Rückblick auf das Leben des Weltstars inspiriert. Ein Monolog von zweieinhalb Stunden, in denen Lemper in die Haut des blauen Engels schlüpft. Ein riskanter Kraftakt.

Doch Ute Lemper geht es elegant-gelassen an. Nachdem die Musiker ihre Plätze an Klavier, Schlagzeug, Violine und Kon­trabass eingenommen haben, tritt die ­55-jährige in High Heels und einem schwarzen, hochgeschlitzten Kleid auf die Bühne, um die schmalen Schultern eine weiße ­Nerzstola. Die Szene ist ein bisschen prosaisch eingerichtet, mit Samtaushang, dunkelblauem Fauteuil, ein paar Weinflaschen und einem am Kleiderhaken baumelndem Glitzerfummel.

Ute Lemper spielt, wie die Dietrich 1962 in Düsseldorf im Rahmen der Unicef-Gala Pete Seegers „Sag mir, wo die Blumen sind“ intoniert. „Ich würde an diesem Abend gern noch mehr für Sie singen, aber nach diesem Lied kann man ja gar nichts mehr singen“, nuschelt Ute als Marlene in die nur luftig gefüllten Reihen. Dann der nahtlose Übergang, plötzlich liegt Marlene in ihrem Bett in der Pariser Wohnung und sinniert zu Eric Saties „Gymnopédie No. 1“, was sie an Frankreich liebt; „les poèmes, les parcs“, haucht Lemper ins Mikrofon.

Erst viel später, fast gegen Ende, erfährt der in Sachen Dietrich ­Unkundige, dass sich die Diva vor allem nach dem Franzosen Jean Gabin verzehrte, ihm zuliebe nach Paris zog und selbst noch blieb, als der sie schon längst verlassen hatte. Mit Jacques Préverts „Déjeuner du matin“ imaginiert Lemper eine traurige Szene der anstrengenden Beziehung der beiden und krönt das Ganze noch mit Jacques Brels tragischem Gassenhauer „Ne me quitte pas“.

Mehr Verzweiflung, Einsamkeit und Liebeskummer geht fast nicht, doch so sehr sich Ute Lemper in den Schmerz ihres einstigen Idols einzufinden versucht, so technisch steril bleibt der Vortrag. Immer da, wo die Dietrich sich aus beiläufiger Melancholie zur melodramatischen Höhe aufschwang, zeigt Lemper virtuose, mal kehlig-heisere, mal grelle Kunstfertigkeit.

Die Verbindung der Lebensstationen mit für die jeweilige Phase bedeutenden Songs ist durchaus reizvoll. Die zahlreichen Facetten der Dietrich bleiben dennoch unterbelichtet – vielleicht, weil Lemper sie aus der konservierten Perspektive des jungen Nachwuchstalents von 1988 betrachtet: als bittere, leicht schrullige Greisin mit einem gehörigen Alkoholproblem. Immer da, wo es ernst werden könnte, rutscht die szenische Gestaltung ins Drollig-Schlüpfrige.

Über ihre Zeit als Truppenbetreuerin bei den US-Soldaten sagt Dietrich hier: „Es war eine harte Zeit, aber auch eine wunderbare Zeit. Ich war ja von Männern umgeben.“ Die Betten der Generäle seien sehr weich gewesen. Dass sich die Dietrich aus einem glühenden, aufrichtigen Antifaschismus heraus in den USA engagierte und dafür im Nachkriegsdeutschland immer wieder als Verräterin angefeindet wurde, kommt zwar zur Sprache, aber nur im Rahmen eines fiktiven Gedankenstroms, der allseits bekannte Fakten zu einer unterhaltsamen, nicht ernsthaft tiefschürfenden Erzählung ordnet.

Im Vortrag von Gilbert Bécauds elegischem Song „Marie, Marie“ über einen Kriegsgefangenen, der von seiner Befreiung träumt, zeigt Ute Lemper dann doch viel Herz. Das Publikum ist schließlich hingerissen, spendet Blumen, Bravos und stehende Ovationen. Trotzdem bleibt der Zweifel; Marlenes Haut ist eben riesengroß.https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.die-kooks-in-der-porsche-arena-wohlfuehl-britpop.2bd577d6-c77c-4805-ad58-b4a3dc067b39.htmlhttps://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.mark-forster-in-der-schleyerhalle-flotter-familienabend-mit-forsti.d8e1df85-dfa7-4058-bd2e-e005dd2603f6.htmlhttps://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.der-satiriker-rolf-miller-in-der-rosenau-helene-fischer-donald-trump-und-der-fussball.3c0e6d8c-e39f-496c-b490-1cddb97c4cdf.html

Facetten der Dietrich aus der Sicht des Nachwuchstalents

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Erstellt:
9. April 2019, 03:14 Uhr

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